Texte und Reden

Helmut Böttiger, Stuttgarter Zeitung

Als sie plötzlich alle vom Wetter redeten

Der »Zwiebel« und das berühmte SDS Plakat

eine Stuttgarter Leidensgeschichte

An einem diesigen und grauen Stuttgarter Januartag des Jahres 1968 kam der Kunststudent Ulrich Bernhardt, den jeder nur unter dem Namen »Zwiebel« kannte, wieder einmal bei seinem Spezi Jürgen Holtfreter vorbei. Der hatte eine kleine Bude »irgendwo an der Olgastraße« und bastelte schon jahrelang an irgendwelchen Fotomontagen, Plakaten und Collagen herum. Zwiebel bewegte in seinem Kopf ähnlich geartete Dinge: kurz vorher war er in der Kunstakademie von Professor Yelin aus dessen Malklasse geworfen worden, weil er sich am Akademiewettbewerb »Porträt« mit einem vier Meter hohen Bildnis von Mao beteiligt hatte. Die Performance auf dem Schlossplatz, während der das Mao Bild gezeigt und gleichzeitig ein Originalflugblatt einer Realschule in Shanghai verteilt wurde, war unvergessen. Ein Hauch von Kulturrevolution: »Die Lehrer müssen den Schulhof kehren!« und sonstige programmatische Thesen wurden unkommentiert unter dem überlebensgroßen Mao auf Handzetteln verteilt.  →weiterlesen

 

Feuilleton Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.01.2005, Nr. 24, S. 33

Die Eingeschlossenen

Reden wir vom Subjekt: In der Berliner RAF-Ausstellung nimmt die Kunst sich selbst ins Verhör Es gibt Kunstwerke, die erst dadurch, daß sie in einer RAF-Ausstellung gezeigt werden, ihren wahren Sinn enthüllen. Ulrich Bernhardts Arbeit „Nationalästhetik, 1968 – 77“ wurde jahrelang bloß als Sinnbild für die Ablösung der Buchkultur durch die neuen Medien betrachtet: Ein aufgeschlagenes Buch auf dem  Ziffernblatt einer Uhr, darin statt Text ein eingelassenes Videoband. Niemand interessierte sich für den Inhalt des Videos. Der aber ist das
Entscheidende: Aufnahmen von der Beerdigung der Terroristen, die sich im Oktober 1977 im Gefängnis Stammheim das Leben genommen hatten. Das Begräbnis selbst unterlag der höchsten Sicherheitsstufe, auch die Fotografen und Kameraleute wurden erkennungsdienstlich erfaßt. Um sein Videoband herauszuschmuggeln, versteckte es der Künstler im ersten Band von Hegels „Ästhetik“. Als Kunstwerk ist diese Zusammenstellung nun eine Allegorie auf die Kunst im allgemeinen und die heute öffnende Berliner RAF-Ausstellung im besonderen. Man hat den Eindruck, die fast maßlose Medienaufmerksamkeit mit täglichen Vorberichterstattungen, Interviews und Reflektionen ist selbst ein Teil des Phänomens, in das auch die Kunst eingeschlossen ist. Hegel hatte die Sackgassen und Bedeutungsverluste, in die die autonome, immer konzeptueller werdende Kunst hineingeraten würde, vorausgeahnt. Wie kann sie, wenn gedanklich alles ausgereizt und nicht mehr zu überbieten ist, wieder ihre Notwendigkeit unter Beweis stellen – und der produzierende Künstler gleich mit? Wodurch kann sich die Kunst überschreiten, um als Kunst belangvoll zu bleiben? Das ist die Frage, in deren Innerem jetzt die Videoaufzeichnung von einem Terroristenbegräbnis steckt. Das große Rätsel ist, was das bedeutet. → weiterlesen

 

Jean-Baptiste Joly

Eröffnungsrede Ausstellung Uli Bernhardt, Lauffen am Neckar, 4. März 2012

(Einleitend kurze Improvisation über den Schwierigkeitsgrad von Hölderlins Lyrik
und über die Komplexität der Arbeit von Uli Bernhardt, es ist nicht leicht, dieses in 20 Minuten zu erklären)

0. Einleitung, episch / lyrisch
„… so ist es für jeden, der seine Meinung darüber äußern möchte, notwendig, sich vorerst in festen Begriffen und Worten zu erklären. So auch hier.“ Mit diesen Worten Friedrich Hölderlins aus seinem Aufsatz „über die verschiedenen Arten, zu dichten“ steige ich nun in die kurze Rede ein, die sich der Künstler und Menschenfreund Ulrich Bernhardt zur Eröffnung seiner Ausstellung gewünscht hat.
In einer Notiz, die er mir gestern schickte, wies er darauf hin, dass „die Texte der lyrischen Landschaft und der epischen Landschaft (so der Titel zwei der hier ausgestellten Arbeiten) aus Hölderlins Abhandlung über den Unterschied der Dichtarten“ stammen. So erklären wir uns gleich zu Beginn, Hölderlin folgend und zitierend, „in festen Begriffen und Worten“:
„Das lyrische, dem Schein nach idealische Gedicht ist in seiner Bedeutung naiv. Es ist eine fortgehende Metapher eines Gefühls. Das epische, dem Schein nach naive Gedicht ist in seiner Bedeutung heroisch. Es ist die Metapher großer Bestrebungen. Das tragische, dem Schein nach heroische Gedicht ist in seiner Bedeutung idealisch. →weiterlesen

 

Jean-Baptiste Joly

Reisebilder

Images de voyage, celles qu’on emporte avec soi comme un nomade emporte ses tapis, images familières qu’on accroche au mur de sa chambre d’hôtel qu’on pose sur le so! d’une maison nouveile pour s’y sentir chez soi.

Images de voyage, celles qu’on découvre sur place, visages, paysages. objets. images sonores, ambiances captées. dans l’instant dont la trace sera perdue et le souvenir impérissabie.

Images de voyage, celles qu’on rapporte avec soi, trophées, icônes, cartes postales que brandissent les héros de Jean Luc Godard, Michel Ange et Ulysse, dans Les Carabiniers“ „Dans cette valise“ dit Michel Ange „Il y a des surprises“ poursuit Ulysse. „Des monuments, des moyens de transport, des magasins, des oeuvres d’art, de l’industrie, richesses de la terre, charpentes, pétrole, etc…, merveilles de la nature, les montagnes les déserts, les pavsages. Ies animaux l cinq parties du monde, les planètes, naturellement, naturellement“. →weiterlesen