Eröffnungsrede Ausstellung Uli Bernhardt, Lauffen am Neckar, 4. März 2012
(Einleitend kurze Improvisation über den Schwierigkeitsgrad von Hölderlins Lyrik
und über die Komplexität der Arbeit von Uli Bernhardt, es ist nicht leicht, dieses in 20 Minuten zu erklären)
0. Einleitung, episch / lyrisch
„… so ist es für jeden, der seine Meinung darüber äußern möchte, notwendig, sich vorerst in festen Begriffen und Worten zu erklären. So auch hier.“ Mit diesen Worten Friedrich Hölderlins aus seinem Aufsatz „über die verschiedenen Arten, zu dichten“ steige ich nun in die kurze Rede ein, die sich der Künstler und Menschenfreund Ulrich Bernhardt zur Eröffnung seiner Ausstellung gewünscht hat.
In einer Notiz, die er mir gestern schickte, wies er darauf hin, dass „die Texte der lyrischen Landschaft und der epischen Landschaft (so der Titel zwei der hier ausgestellten Arbeiten) aus Hölderlins Abhandlung über den Unterschied der Dichtarten“ stammen. So erklären wir uns gleich zu Beginn, Hölderlin folgend und zitierend, „in festen Begriffen und Worten“:
„Das lyrische, dem Schein nach idealische Gedicht ist in seiner Bedeutung naiv. Es ist eine fortgehende Metapher eines Gefühls. Das epische, dem Schein nach naive Gedicht ist in seiner Bedeutung heroisch. Es ist die Metapher großer Bestrebungen. Das tragische, dem Schein nach heroische Gedicht ist in seiner Bedeutung idealisch.
Es ist die Metapher einer intellektuellen Anschauung.“ Auszüge dieses Aufsatzes von Hölderlin mögen wohl als Ornamente auf den Bildern von Uli Bernhardt erscheinen, so steht der aufmerksame Betrachter doch vor einem Rätsel: Hinter der kaum lesbaren Handschrift Hölderlins sind beide Bilder trotz unterschiedlicher, ja entgegengesetzter Titel, „Epische Landschaft“ vs „Lyrische Landschaft“im Motiv und in der Anmutung sehr ähnlich (auf die unterschiedlichen Schattenstärke und – längen hinweisen) : sie stellen jeweils eine sonnige, verschwommene Landschaft mit Olivenbäumen dar, wie man sie sich leicht in Griechenland vorstellen möchte. Hölderlins Handschrift erscheint zwar als Teil des Bildes, als ikonographisches Motiv, sie ist jedoch nicht nur Bild, sondern auch Text mit Bedeutung und Absicht. Wer sich die Mühe macht, die Handschrift zu entziffern, wird tatsächlich die Definitionen des Epischen und des Lyrischen wieder erkennen, die hier vom Künstler gar nicht kommentierend oder erklärend gemeint sind, sondern vielmehr den Betrachter auffordern, sich das jeweilige Bild als episch oder als lyrisch vorzustellen. So kippt, je nachdem mit welcher hölderlin’schen Brille Sie darauf schauen, mit der lyrischen oder mit der epischen, die Landschaft in ein anderes Bedeutungsfeld:
idealisch /naiv wenn lyrisch, naiv / heroisch, wenn episch. Diese Veränderung der Perzeption entspricht dem, was Wittgenstein „Aspektwechsel“ nennt. Dieser beruht auf der Erkenntnis einer Ähnlichkeit, bei der das Objekt der Betrachtung als ähnlich und als anders erfahren wird, je nachdem aus welcher Perspektive darauf geschaut wird.
1. Palimpsest
Die Beziehung, die Ulrich Bernhardt zu den Schriften Hölderlins pflegt, ist keine affektierte sondern eine zutiefst erlebte, die einen wesentlichen Einfluss auf seine Wahrnehmung und seine ästhetische Praxis ausübt. Als Künstler ist Uli Bernhardt dem hölderlin’schen Ideal verpflichtet, das sich vornimmt, den Mythos der alten Griechen – so Friedrich Gundolf – „in seinen eigenen, morgendlich neuen zu verwandeln, alles Historische, Vergangene daran umzuschmelzen in seinem gegenwärtigsten Feuer. Nicht was er (Hölderlin!) meinte und dachte geht uns an, sondern wie er schaute und formte“.
Den Hölderlin-Bezug können Sie, meine Damen und Herren, wenn vorhanden, (viele Bilder beziehen sich auf Hölderlin, aber nicht alle) nach diesem Prinzip lesen, d.h. Als Aufforderung, den Inhalt des Bildes mit Hölderlins Anschauung zu betrachten. Dabei spielen die Schrift als bildnerisches Ornament und die Idee des Fragmentarischen, des Unabgeschlossenen, eine wesentliche Rolle bei der Konstruktion von Uli Bernhardts Bildern. Wie Sie es an diesen ersten Beispielen feststellen konnten, sind die fotografischen Bilder dieser Ausstellung das Ergebnis von Mehrfachbelichtungen. Sie sind durchaus vergleichbar mit Palimpsesten, d.h. mit in mehreren Anläufen geschriebenen, verworfenen, überschriebenen, gestrichenen und korrigierten Manuskripten, wie wir sie aus der Literatur kennen, insbesondere bei Hölderlin. Uli Bernhardt hat mir oft von seiner Bewunderung für die Entzifferungsarbeit von D.E. Sattler erzählt, dem Herausgeber der Frankfurter Hölderlin-Ausgabe. Er bezieht sich in seinen künstlerischen Arbeiten immer wieder auf Sattlers revolutionäre Lesart, die sich am Entwurfscharakter von Hölderlins Spätwerk orientiert und die „Verderbnisse und Entstellungen“ (Beissner) nicht auslässt.
Von sich selbst sagt Uli Bernhardt, er sehe sich mit seiner „unzeitgemäßen Kunst als verhinderten Schriftsteller, der mit Bildern Dramen, Prosa und Gedichte entwickelt“ und fühlt sich schließlich eher der Poesie als der Fotokunst zugehörig. Deshalb ist für ihn die Wiedergarbe der Wirklichkeit – was die Aufgabe eines Fotografen wäre, – von geringem Interesse. Ihm geht es viel eher darum, die Grenzen der Rationalität in der Konstruktion von Bildern aufzuzeigen und mit dem fotografischen Verfahren den Schatten des Geistes zu fangen, der unentwegt seinen Bilderkollisionen einen Sinn zu verleihen weiß. Die Prozedur ist einfach: In seinem Kühlschrank lagern hunderte von Filmen (ich habe sie gesehen, die Boxen vor dem Fenster im Winter!), die dem Licht der Landschaften Griechenlands, Schwabens oder Frankreichs ausgesetzt wurden. Auf jeder Rolle kann man die Initiale des Aufnahmeortes lesen, zum Beispiel N für Neckar, oder VC für Vercors. Diese Filme können für eine zweite Belichtung erst verwendet werden, wenn das Bild aus dem bewussten Gedächtnis des Künstlers gelöscht worden aber vielleicht noch in seinem Unbewussten gespeichert ist. Uli Bernhardt spricht dabei vom intuitiven Charakter der Auswahl, von jenem magischen Moment, wenn er aus seinen Reserven eine alte, abgelichtete Filmrolle in die Hand nimmt, zugleich ahnend, was sich darauf bereits befinden und was noch auf ihn an Bildern, Motiven und Ereignissen zukommen könnte. Diesen Prozess kann er auch teilweise steuern, z.B. bei den ersten Bildern, die er für den Zyklus Empedokles gemacht hatte, konnte er sich noch dumpf erinnern, dass die Motive menschenleer waren, dass Empedokles’ Freunde fehlten.
Beim Fotografieren verbindet der Körper des Künstlers in einer kontinuierlichen Zeitauffassung die vergessene Erinnerung mit der augenblicklichen Wahrnehmung und hält schließlich diese Begegnung mit der Kamera auf die lichtempfindliche Filmebene fest. Dem Prinzip des „objektiven Zufalls“ der Surrealisten ähnlich macht Uli Bernhardt mit der ersten Belichtung eine Klammer auf, die sich viel später mit der zweiten Belichtung schließen wird. (Raymond Roussel, Impressions d’Afrique). Unter den Ergebnissen sucht er im Atelier nach Sequenzen von zwei bis fünf einzelnen Bildern, die so belassen werden, wie sie sich auf dem Film ergeben und nie neu montiert werden dürfen. Am Leuchttisch überprüft er die Filmstreifen und sucht sich dabei die interessanteren Sequenzen aus. Das Kompositionsprinzip seiner Bilder kennt er als Künstler aus der Erfahrung. „Man hat so sein Rüstzeug“, sagte er mir augenzwinkernd, als ich ihn vor einigen Wochen in seinem Atelier besuchte. (Hinweis auf die wiederkehrenden Elemente in der Konstruktion der Bilder, die Horizontale Line, auch als Zeitachse zu verstehen. Doppelte Zeitachse, Horizontal und in der Tiefe des Bildes mit Doppelbelichtung)
2. die Suche nach der Höhle, ein Epos Bernhardt arbeitet für die eine Aufnahme meistens mit einer russischen Panoramakamera, einer „Horizont“, (deren Objektiv sich dreht und dem vertikalen Schlitz folgt, der sich im Halbkreis öffnet). Diese Bilder im Format 24 x 54 mm, sind eineinhalbmal länger als das klassische Kleinbildformat, mit dem er seine Filme ein zweites Mal belichtet. So bestehen seine Bildfolgen aus mindestens zwei Panoramabildern, überblendet von drei Kleinbildern im Format 24 x 36mm. Mit ihrem chemischen Verfahren ist analoge Fotografie „nah am Körper des Menschen, der auch chemisch agiert und reagiert“, während das Digitale, so Bernhardt, „nur berechnet und körperfremd bleibt“. Deshalb ist es ihm nicht möglich, das Digitalverfahren für diese Art von Bilderproduktion einzusetzen. Für ihn ist der Einsatz digitaler Technik auf die Bildbearbeitung im Labor begrenzt. Deshalb nennt er sich ironisch „den letzten analogen schwäbischen Romantiker“.
Das erste Bild, das er 1985 mit diesem Verfahren produzierte, war das Ergebnis eines Zufalls. Auf den Höhen des Pelion machte er sich zusammen mit einem Freund auf die Suche nach der Höhle des Chiron, jenem mythischen Ort, an dem Chiron, der griechische Meister der Magie und der Künste, der Lehrer von Achilles, Herakles und Jason, gehandelt und gelehrt hatte. So mythisch die Höhle auch war, so musste es sie in der Wirklichkeit doch noch geben! Schließlich erzählte ihnen ein griechischer Hirt, er würde die Höhle wohl kennen, denn sein Großvater hätte sie früher als Schafstall benützt. Trotz Wegbeschreibung war die Suche vergeblich. Eher als seinem Orientierungssinn zu folgen, überließ er die Suche ganz seiner Intuition und stieß schließlich auf die gesuchte Höhle. Uli Bernhardt spricht in diesem Zusammenhang von einer anderen, nicht rationalen Art der Suche, bei der das Wachbewusstsein abgeschaltet wird. Damit meint er, dass er damals, auf der Suche nach der Grotte, nicht mehr mit Vorstellung und Verstand handelte, sondern anscheinend sinnlos nach einer inneren Uhr, der er vertraute und die er jedoch nicht verstand; dieses, wie Sie es selber hören, meine Damen und Herren, ganz im Sinne der Romantik, der sich der Künstler nach wie vor verpflichtet fühlt. Die Höhle hatte er nur deshalb gefunden, weil er „die moderne Welt und ihre Rationalität verlassen“ hatte. Da die Filmrolle schon belichtet und kein anderer Film vorhanden war, spulte er den Film zurück und legte ihn neu an, wohl wissend, dass das aufgenommene Bild eine Doppelbelichtung werden würde. Aber er hatte keine Wahl. Auf dem Bild (Hinweis in der Ausstellung) kollidiert ein Reif mit goldenen Blättern aus der Zeit Alexander des Großen, (in einem griechischen Museum aufgenommen) mit dem grünen Laub, das den Eingang der Höhle verdeckt. Erst hinterher wurde ihm klar, was die Höhle des Chiron bedeutete: Sie stellt die unmittelbare Verbindung von Natur und Kunst dar, deren Verhältnis, ganz im Sinne Hölderlins, keinen Gegensatz bildet, sondern „Edle Einfalt und stille Größe“ bedeutet, wie von Johann Winckelmann formuliert. Auch er, Winckelmann, der Archäologe und Kunstschriftsteller, der mit seinen Studien zur Antike eine ganze Epoche in seinen Wahn brachte, kommt in der Ausstellung vor. Bernhardt hat sich auf die Spuren Winckelmanns gemacht, die Plätze seines Wirkens besucht und widmet ihm einen Zyklus von fünf Bildern, Athen, Reise, Zyklop, Triest, Gonianders Epitaph (Hinweis in der Ausstellung). In Winckelmann sieht er einen Liebhaber Griechenlands, und eine Quelle des Wissens, die auch Hölderlin inspirierte. Hölderlin seinerseits, auf dessen Spuren Uli Bernhardt sich nie gewagt hat, gleicht einem heroischen Helden der Antike und bleibt unerreichbar. Bernhards Idealismus lehnt sich an Hölderlin an und misstraut Winckelmanns „heidnischen Sinn“ (JW Goethe, Bd. 12, S. 100) , dem es verwehrt wurde „das Göttliche im Leben selbst zu sehen“ wie es zutreffend Friedrich Gundolf über Hölderlin schreibt. (Weiter Goethe: Winckelmann hat die Götter nur als Kunstwerke gesehen)
3. der Körper des Künstlers als Klepydra Die Erfahrung mit der Höhle des Chiron hat Uli Bernhardt inzwischen zum Prinzip seiner Arbeit erhoben: „Mit der Technik der Überblendung“ sagt er, wird etwas sichtbar, was ursprünglich nicht zu sehen war“: Es kollidieren heterogene Ereignisse, Vergangenes und Gegenwärtiges werden zu einem einzigen Augenblick verbunden, als wäre der Künstler mit seiner Kamera eine Zeitmaschine, die im eigenen Körper den ganzen Lauf der Zeit physisch festhalten könnte. „Ich wollte den Zeitfluss darstellen, der durch uns, zwar immer anders, aber permanent fließt“ sagte Ulrich Bernhardt 1978 bei einer Präsentation seiner Arbeit in Stuttgart und verglich dabei den Körper des Künstlers mit einer Klepsydra, die den Fluss der Zeit zwischen Geburt und Tod erfahren würde. Seit dieser Zeit ist ein richtiges Oeuvre entstanden, das bei Uli Bernhardt – im Gegensatz zu anderen Künstlern – nicht aus der bloßen Akkumulation einzelner Werke besteht, sondern aus einer Praxis, die ständig auf bereits Geschaffenes zurückgreift und es von Neuem bearbeitet. (Zu Beginn dieser Ausführungen mit Palimpsest verglichen). Zu dieser Ausstellung gehören auch späte Arbeiten, die, laut Liste der Exponate in den letzten zwei Jahren entstanden sind. Die doppelte Zeitangabe vermerkt die erste Schicht dieser Bilder, die fünf oder zehn Jahre zurückliegt, wenn nicht länger und die zweite letzte Schicht (das Beispiel Mnemosyne erwähnen, mit der Handschrift als Folie). Bernhardts Bilderproduktion erstreckt sich über mehrere Jahrzehnte und verbindet wie bei einem Roman die verschiedenen Epochen seines Lebens zu einem kohärenten Konstrukt. Wie bei Marcel Prousts „Mémoire involontaire“ (unwillkürliche Erinnerung) in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ bedingt eine „mehr oder weniger langanhaltende Vergessenheit“ (Proust) die Möglichkeit eines „schöpferischen Erinnerns“, die durch zufallsbedingte Kollisionen zwischen
unterschiedlichen Zeitschichten entsteht.
Schlusswort, das sinnliche und das innige Leben
Seit dem Vergleich mit der griechischen Klepsydra sind einige Jahre vergangen, jedoch sind Bernhardts Absichten gleich geblieben: Einer modernen Zeitauffassung setzt er eine antike, viel konkretere entgegen, die zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht unterscheidet und vom Lauf der natürlichen Elemente, von Erinnerung und Vergessen, vom menschlichen Körper und seinem Erfahrungsschatz bestimmt wird. Diese sehr physische Zeitauffassung, in der weit voneinander entfernte Ereignisse sich gegenseitig bedingen und erklären können, durchdringt alle in dieser Ausstellung vorgestellten Arbeiten. Ganz im Sinne Hölderlins sind „diese energischen heroischen Dissonanzen, die Erhebung und Leben vereinigen, (…) die Auflösung des Widerspruchs, in den es gerät (Hölderlin meint das Gedicht, ich meine das hier ausgestellte Werk), indem es von einer Seite nicht ins Sinnliche fallen, von der andern seinen Grundton, das innige Leben nicht verleugnen kann und will“. (aus: Über den Unterschied der Dichtarten).
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
© Jean-Baptiste Joly